Artenvielfalt erhalten! Aber wie?

Stefan Kattari

11. Februar 2019

Informationsabend und Diskussion mit Stefan Kattari

Artenvielfalt erhalten – aber wie? Das war der Titel einer Informationsveranstaltung von Stefan Kattari, Marktgemeinderat und Biologe aus Grassau. Mehr als 50 Interessierte folgten den Ausführungen im Gasthof Sperrer. Die anschließende Diskussion war – anders als viele andere Veranstaltungen im Umfeld des Volksbegehrens zur Artenvielfalt – nicht von Gegensätzen, sondern von großer Einigkeit geprägt. Stefan Kattari und die anwesenden Landwirte waren bemüht, ein differenziertes Bild der Sachlage und der möglichen Lösungen aufzuzeigen.

Grassau – Der SPD-Ortsverein Grassau hatte zu einem Informationsabend in den Gasthof Sperrer in Grassau eingeladen und weit über 50 Bürgerinnen und Bürger hörten interessiert zu. „Was genau versteht man unter dem Begriff Biodiversität?“ Mit dieser Frage begann Stefan Kattari, Diplom-Biologe und SPD-Marktgemeinderat in Grassau, seinen Vortrag. Kenntnisreich und differenziert arbeitete er Stück um Stück heraus, dass dies nicht nur die Vielfalt an Arten, sondern auch an Lebensräumen und an genetischer Information umfasst. Der Begriff „Natur“ ist Kattaris Worten zufolge in Diskussionen ebenfalls oft nicht geklärt – der eine versteht darunter den Gegensatz zur von Straßen und Häusern dominierten Stadt, der andere verwendet das Wort, wenn es um Bereiche ohne jeden menschlichen Eingriff geht. Anhand von historischen Vergleichsbildern zeigte der Biologe, dass „die Natur“ im Chiemgau vielfach besser als Kulturlandschaft bezeichnet wird, denn an zahllosen Stellen haben in den vergangenen Jahrhunderten menschliche Eingriffe stattgefunden und finden immer noch statt. Beispiele dafür sind die Almwiesen oder die Wiesen im Tal, die es ohne die menschliche Zivilisation im Chiemgau derzeit nicht gäbe.

Biodiversität durch menschliche Eingriffe

Ein Teil der Biodiversität im Chiemgau sei sogar auf die menschlichen Eingriffe zurückzuführen. Kattari erklärte, dass oftmals die Artenvielfalt in extensiv von Menschen genutzten Regionen gegenüber dem unberührten Naturzustand ansteige, mit weiterer Intensivierung der Nutzung aber umso stärker wieder abnehme. Grund für den Anstieg sei die Zunahme von Landschaftsstrukturen wie beispielsweise von Hecken oder Einzelbäumen zwischen Wiesen und Feldern. Die Menge an Strukturen in der Landschaft ist für jeden Laien ein guter Hinweis darauf, wie artenreich eine Landschaft wahrscheinlich ist: viele Strukturen beherbergen viele Arten, strukturarme und gleichförmige Landschaften sind eher artenarm. Als Beispiel für extensive Nutzung nannte er die traditionelle kleinbäuerliche Landwirtschaft, intensive Nutzung sei dagegen die industrialisierte Landwirtschaft, die auf großen Flächen und mit immensem Düngemittel- und Pestizideinsatz arbeite.

*Stefan Kattari*

Viele Arten gefährdet oder verschwunden

Etwa ein Drittel der über 500 bayerischen Wildbienen stehen auf der Roten Liste, 400 von über 3000 Schmetterlingsarten wurden in Bayern in den vergangenen 18 Jahren nicht wieder gefunden. Das zeigt deutlich den Artenschwund. Auch aus seinen eigenen Kartierungen – Kattari erfasst die 1500 Pflanzenarten im Chiemgau im Detail – sei ein Rückgang zu belegen. „Ist es schlimm, wenn wir einen Bläuling weniger haben?“ fragte der Biologe. Auf eine Art hin oder her komme es vielleicht nicht an, aber wenn viele Arten verschwinden, dann wird das Ökosystem instabiler. Kattari verglich das mit einer Ziegelmauer, aus der ohne weiteres ein einzelner Ziegel entfernt werden kann, ohne dass die Mauer zusammenbricht. Je mehr Steine aber fehlten, umso instabiler werde die Angelegenheit. Gerade weil aber die Menschen sich gut auf die gegenwärtige Umwelt eingestellt haben, wäre eine Veränderung sehr ungünstig. Eine von vielen möglichen unerwünschten Folgen eines veränderten Ökosystems sei die Massenvermehrung von Schädlingen, die kostenaufwändig bekämpft werden müssten. Je artenreicher ein Ökosystem, desto stabiler sei es und desto unwahrscheinlicher ist eine solche Plage.

Gründe für den Artenverlust

Für die gegenwärtige Abnahme der Biodiversität gebe es zahlreiche Gründe, so Kattari weiter. Dazu zähle die Flächenversiegelung, die direkt Lebensräume vernichte oder indirekt zur Verinselung von Populationen führe. Der Einsatz von Spritzmitteln sei der zweite wesentliche Grund, wobei Kattari darauf hinwies, dass Verbote von Spritzmitteln genauso für die Landwirtschaft wie für Kommunen und Privatgärten gelten müssen. Zum dritten führe eine starke Düngung vielfach zum Rückgang von Artenvielfalt, denn nährstoffarme Böden beherbergen vielerorts die artenreichsten Lebensgemeinschaften. Ein Teil der Nährstoffzufuhr rührt dabei ganz klar aus der Landwirtschaft, die erst seit den 1960er Jahren in der Lage ist, einer Nutzfläche mehr Dünger zuzuführen als von ihr in Form von Ernte entnommen wird. Ein beträchtlicher Teil des Nährstoffeintrags erfolge aber mittlerweile auch aus der Luft, infolge des Mobilitätsverhaltens der Gesellschaft. Gerade die Stickoxide in den Autoabgasen stellen solche Düngergaben dar, die sämtliche Landesflächen betreffen, darunter auch solche, die ansonsten niemals mit Kunstdünger in nennenswertem Umfang in Berührung kämen wie beispielsweise Almwiesen oder Hochmoore. Zuletzt spielen großflächige Monokulturen in der Landwirtschaft eine große Rolle für den Rückgang von Artenvielfalt, denn dort fehlen schlicht die Strukturen, vielen unterschiedlichen Arten Raum und Unterschlupf zu bieten. Letztlich gehen die Futterpflanzen verloren, die Basis des Nahrungsnetzes werde dünner.

Maßnahmen zum Erhalt der Biodiversität

Um Artenvielfalt zu erhalten, ist eine maßvolle Nutzung der Landschaft unabdingbar. Dabei spiele die Frage, ob ein Landwirt Biobauer sei oder konventionell arbeite, eine eher untergeordnete Rolle, solange die Landnutzung kleinteilig und strukturreich sei. Kattari warb dafür, die kleinen Bauern, wie sie typisch für das unmittelbare Alpenvorland und die bayerischen Alpentäler sind, nach Kräften zu unterstützen. Mit dem Aufstellen von Nisthilfen können man etwa einem Drittel der heimischen Wildbienen helfen. Die restlichen zwei Drittel legen jedoch ihre Eier im Boden ab, weshalb sie weder von Nisthilfen profitieren noch einjährigen Blühflächen oder Ackerrandstreifen, wenn diese im folgenden Jahr umgegraben werden. Zudem bergen die einjährigen Blühflächen die Gefahr der Verunkrautung, denn nach einigen Jahren wachsen die unerwünschten Kräuter schneller als die angesäten Blumen. Konkret verwies Kattari deshalb auf die Notwendigkeit, Blumenwiesen zu erhalten oder nötigenfalls zu schaffen. Diese Möglichkeit stehe auch Privatleuten und der öffentlichen Hand offen. Es gehe dabei nicht um „Blühflächen“ aus oftmals fremdländischen, einjährigen Arten, sondern um dauerhafte Flächen mit einheimischen Pflanzen, die aber auch nur bei entsprechender Pflege erhalten bleiben. Gefragt nach dem richtigen Mahdzeitpunkt gab Kattari als Daumenregel das Ende der Blütezeit von Margeriten etwa Ende Juni oder Anfang Juli an. Das gelte jedoch nur für Blumenwiesen auf normalen Böden, nicht etwa bei Säumen entlang von Hecken, auf Magerrasen oder bei Nasswiesen.

Große Einstimmigkeit in der Diskussion

Die anschließende Diskussion, moderiert vom SPD-Ortsvereinsvorsitzenden Tobias Gasteiger, war äußerst ausgewogen und differenziert. Klaus Noichl jun., Biobauer aus Grassau, stellte für die Anwesenden in nachvollziehbarer Weise dar, unter welchen Rahmenbedingungen er wirtschaftet und erklärte, wie beispielsweise insekten- und bienenschonende Landbewirtschaftungen aussehen können. Dazu gehöre unter anderem, außerhalb der Flugzeiten zu arbeiten, also in den Morgen- und Abendstunden. Er warb deshalb für Verständnis bei den Anwohnern, wenn Landwirte abends noch auf ihren Wiesen unterwegs sind. Andreas Hafner fragte, welchen Effekt Spritzmittel im Boden haben. Noichl stellte klar, dass trotz gegenteiliger Behauptungen der Firmen und Verbände aller Wahrscheinlichkeit nach Rückstände in den Boden gelangen. Sein Hof verwende beispielsweise kein Glyphosat.

Hans Jawurek erkundigte sich nach dem Einsatz der durchwachsenen Silphie, die ja ein blühender Ersatz für Mais sein solle. Stefan Kattari erklärte dazu, dass der Vorteil in der dauerhaften Anlage, dadurch verbunden mit geringerem Spritzmitteleinsatz und reduzierter Bodenbearbeitung liege. Die ersten Felder sind bereits ein gutes Jahrzehnt alt. Die Silphie blühe aber auch nur einige Wochen im Jahr, insofern sei es eine überschaubare Verbesserung. Klaus Noichl ergänzte, dass sich die Silphie nicht als Viehfutter eigne, weshalb ihr Anbau nur in Gebieten mit Biogasanlagen Sinn mache.

Bürgermeister Rudi Jantke nahm Bezug auf das Volksbegehren, das bis dahin noch kaum eine Rolle in der Veranstaltung gespielt hatte, und verlieh seiner Freude Ausdruck, dass nun endlich eine breite gesellschaftliche Diskussion in Gang gekommen sei. In jedem Fall werde wohl die Gesetzeslage angepasst werden müssen, das allein sei schon ein Erfolg. Auch er sprach sich dafür aus, die kleinen Bauern vor Ort zu unterstützen.

Das eigene Konsumverhalten hinterfragen

Stefan Kattari und Klaus Noichl appellierten an die gesamte Gesellschaft, das eigene Verbraucherverhalten zu überdenken. Geld, das für billige Lebensmittel gespart wird, kommt nicht bei den Bauern an. So unter Kostendruck ist der Versuch nachvollziehbar, alles aus den Flächen herauszuholen, vielfach auf Kosten der Biodiversität. „Welche Landschaft essen wir?“ fragte Kattari abschließend – jeder müsse diese Frage für sich selbst beantworten.

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